[Smart City]

„Platt­form­stra­te­gien werden wichtiger“

DPD-Deutschland-Chef Eric Malitzke über die Zukunft des lokalen Handels, neue Verkehrs­kon­zepte in der Branche und die Initia­tiven des Unter­neh­mens für mehr Nachhaltigkeit
von Frede­rike Hoppe

Herr Malitzke, Sie waren direkt im ersten Jahr in Ihrer neuen Posi­tion als CEO von DPD Deutsch­land mit einer globalen Krise konfron­tiert. War dies das schwie­rigste Jahr Ihrer bishe­rigen Karriere?

Eric Malitzke: Ja, es war heraus­for­dernd und für mich ein außer­ge­wöhn­li­ches Jahr. Ich habe mit einer für mich neuen Mann­schaft Entschei­dungen treffen müssen, für die es keine Präze­denz­fälle gab.

Was war eine wich­tige Entschei­dung, die Sie in der Krise getroffen haben?

Wir haben mehrere erfolgs­kri­ti­sche Entschei­dungen getroffen, zum Beispiel die Einbe­ru­fung eines tägli­chen Krisen-Calls Anfang März, die Umstel­lung auf das mobile Arbeiten sowie die Umstruk­tu­rie­rung unserer Kern­pro­zesse, beispiels­weise die Einfüh­rung der kontakt­losen Zustellung.

Viele KEP-Unternehmen arbeiten an nach­hal­tigen Konzepten. Wie sieht das bei DPD aus?

Wir werden als DPD-Gruppe bis zum Jahr 2025 rund 225 euro­päi­sche Städte emis­si­onsarm, elek­tri­fi­ziert oder auch mit Cargo-Bikes umwelt­freund­lich belie­fern. Wir werden mehr zur granu­laren Vertei­lung in den Städten kommen, etwa mit Satelliten- oder Mikro­de­pots. Auch die Art und Weise, wie wir bauen, wird sich verän­dern. Das neue Depot in Holz­günz nahe Memmingen, das wir gerade in Betrieb genommen haben, ist beispiels­weise nahezu ener­gie­autark. Das ganze Gebäude ist in seinen Emis­sionen um 80 Prozent redu­ziert – das wird in Zukunft unser Stan­dard für Neubauten sein.

„Die Ballungs­räume und urbanen Zentren müssen entlastet werden.“

Ist das eine Reak­tion auf die Coronakrise?

Nein, aber wir haben die Projekte in ihren Dimen­sionen ange­passt. Die Ballungs­räume und urbanen Zentren müssen entlastet werden. Denn einer­seits gibt es in den Städten ein großes Bewusst­sein für das Thema Ressour­cen­ein­spa­rung, ande­rer­seits ist das Bedürfnis nach Versor­gungs­si­cher­heit und Lebens­qua­lität gerade hier beson­ders stark ausge­prägt. Wir müssen uns daher Gedanken beispiels­weise um eine noch bessere Bünde­lung von Sendungen machen. Die Mobi­lität, wie wir sie heute kennen, wird dazu auf Dauer nicht ausrei­chen. Wir brau­chen neue Verkehrskonzepte.

Wie könnten diese aussehen?

Zum einen geht es um bewusste Verkehrs­ver­mei­dung durch alter­na­tive Zustell­mo­delle. Auf der letzten Meile wird Elek­tro­mo­bi­lität immer wich­tiger. Lang­fristig bin ich aber der Über­zeu­gung, dass Wasser­stoff­an­triebe eine größere Rolle ­spielen müssen, gerade dann, wenn der Wasser­stoff ener­gie­scho­nend produ­ziert wird.

Setzt DPD dazu schon erste Projekte um?

Wir sind mit mehreren Indus­trie­part­nern in Kontakt, zum Beispiel mit Unter­nehmen aus dem Fahr­zeugbau oder der Ener­gie­ver­sor­gung. Wir tauschen uns eng mit verschie­denen Initia­tiven über die Entwick­lung solcher Konzepte aus.

Im Mai 2020 hatten Sie bereits die Vorjah­res­mengen vom Weih­nachts­ge­schäft erreicht. Was erwarten Sie für das Jahr 2021?

Wir erwarten nach wie vor hohe Paket­mengen. In diesem Jahr sind wir schon im Januar mit dem Sendungs­vo­lumen von Mai 2020 gestartet.

Was bedeutet das für Ihre Unternehmensstrategie?

Wir haben den Anspruch, den aktu­ellen Struk­tur­wandel aktiv mitzu­ge­stalten, und verstehen uns als Chan­cen­ver­wandler für unsere Partner. Mehr als bisher müssen wir helfen, die Chancen des Einzel­han­dels zu skalieren. Der lokale Handel muss sich gerade jetzt in der Krise wandeln, um weiter erfolg­reich zu sein. Wir müssen über Koope­ra­tionen gemeinsam hybride Geschäfts­mo­delle und Multichannel-Lösungen entwi­ckeln. Das ist Teil unserer Aufgabe, und das verfolgen wir bereits in verschie­denen regio­nalen Kooperationen.

„Mein Eindruck ist, dass sich die Akzep­tanz für das Thema Nach­hal­tig­keit in der Branche insge­samt erhöht hat.“

Haben Ihre B2B-Kunden durch Corona einen verstärkten Fokus auf die Multichannel-Perspektive gelegt?

Absolut. Der Hand­lungs­druck ist enorm gestiegen, so dass Fulfilment und Multich­annel für alle Kunden­gruppen große Themen sind. Nur auf die Geschäfts­logik vor Corona zu setzen, wird nicht ausreichen.

Sie sagen, dass Corona die Entwick­lung bei DPD um vier Jahre beschleu­nigt hat. Was bedeutet das für die Nach­hal­tig­keits­pro­jekte bei DPD?

Dass sie sich eben­falls erheb­lich schneller entwi­ckeln müssen. Darüber sind wir als Inno­va­ti­ons­führer auch nicht über­rascht. Mein Eindruck ist, dass sich die Akzep­tanz für das Thema Nach­hal­tig­keit in der Branche insge­samt erhöht hat. Wenn Sie so wollen, wirkte die Krise als eine Art Kata­ly­sator, der Hand­lungs­druck erzeugt hat.

Wo haben Sie bei DPD Hand­lungs­druck festgestellt?

Beim Ziel emis­si­ons­freie Zustel­lung. Das haben wir nun als mess­bare Größe fest in der Stra­tegie veran­kert – als klare Verein­ba­rung mit klarem Fahr­plan. Auch wenn die Coro­na­krise kleine orga­ni­sa­to­ri­sche Themen vorüber­ge­hend leicht ausge­bremst hat, haben wir unseren Fokus behalten und die vor Corona gesteckten Ziele bereits heute übertroffen.

11 Mrd.

Milli­arden Euro Umsatz erwirt­schaf­tete DPD im Jahr 2020.

%

wuchs der Erlös im Vergleich zum Vorjahr

Milli­arden Pakete stellte DPD im vergan­genen Jahr welt­weit zu

Millionen Pakete lieferte DPD 2020 in Deutsch­land aus

%

mehr B2C-Sendungen als im Vorjahr verzeich­nete die DPD Group

Vor einem Jahr sagten Sie im Gespräch, dass in der Branche große Poten­ziale zu heben sind. Welche sind das für die nächsten Jahre?

Die Branche muss sinn­volle Alter­na­tiven zur Haus­tür­zu­stel­lung noch viel stärker nutzen und Out-of-Home-Optionen wie Paket­sta­tionen oder Paket­shops weiter voran­treiben. Darüber hinaus wird es darauf ankommen, wie die Logistik ihre neue Rolle zwischen Indus­trie, Handel und Verbrau­chern definiert.

Was wird 2022 die wich­tigste Inno­va­tion in der KEP-Branche sein?

Ich glaube nicht, dass wir schon jetzt die eine wich­tige Inno­va­tion iden­ti­fi­zieren können. Es wird mehrere Neue­rungen für verschie­dene Anwen­dungs­fälle geben. Mögli­cher­weise könnte die Zustel­lung am nächsten Tag in den Hinter­grund rücken, und statt­dessen könnte es gefragter werden, dass die Empfänger Zeit und Ort der Zustel­lung von vorn­herein selbst fest­legen. Auch Platt­form­stra­te­gien wird eine immer wich­ti­gere Rolle zukommen.

Sie waren unter anderem auch bei Amazon tätig und sind über­zeugt, dass das Unter­nehmen die KEP- und Logis­tik­branche revo­lu­tio­niert hat. Was macht Amazon besser?

Ich glaube nicht, dass Amazon auf der letzten Meile etwas wesent­lich besser macht als der Rest des Marktes. Ein großer Vorteil des Unter­neh­mens ist die Daten­ho­heit vom Versender bis zum Konsu­menten. Das gilt auch für die Gesamt­heit des Prozesses vom Kauf bis zum Empfang. Alles ist bedin­gungslos prozess­ori­en­tiert, stan­dar­di­siert, skalierbar und immer repli­zierbar – in einer unglaub­li­chen Konse­quenz. Daher ist Amazon in der Logis­tik­branche schon der Bench­mark, was Effi­zienz, Skalier­bar­keit und den Wert von Analy­tics betrifft.

Hängen deut­sche bezie­hungs­weise euro­päi­sche KEP-Unternehmen dem hinterher?

Ich glaube, Europa muss vehe­ment Initia­tiven starten, um in der Tech­no­lo­gi­sie­rung und Digi­ta­li­sie­rung wett­be­werbs­fähig zu bleiben. Wenn wir keine Konzepte gegen die große Macht von ameri­ka­ni­schen und chine­si­schen Unter­nehmen entwerfen, dann werden wir irgend­wann von deren Tech­no­lo­gien abhängig sein. Es wäre eine große Chance für Europa und Deutsch­land, sich über Forschung, Entwick­lung und Bildung zusam­men­zu­schließen und so Alter­na­tiven anzubieten.