Wird der Umbruch zur neuen Mobilität so radikal sein wie der Übergang von der Kutsche zum Automobil vor ca. 100 Jahren?
Wie bereiten sich Kommunen darauf vor?
Autonomes Fahren, vernetztes Fahren, Elektromobilität, Car-Sharing, Micromobility, Mobility-as-a-Service (MaaS), On-Demand-Shuttles, Mobilitätsplattformen, Umweltbelastungen und Nachhaltigkeit haben tiefgreifende Auswirkungen u. a. auf den Regulierungsrahmen, die Rolle des ÖPNV, den Fahrzeugpark, die Infrastruktur, die Mobilitätskosten oder das Verkehrsaufkommen.
Wie sich dieser Wandel gestalten wird, ist schwer abzuschätzen. Während PricewaterhouseCoopers (PwC) und das Victoria Transport Policy Institute (VTPI) davon ausgehen, dass der Anteil autonomer Fahrzeuge am gesamten Fahrzeugpark 2030 noch deutlich unter 10 % liegen wird, hält McKinsey es für möglich, dass es 2040 bereits 30 % sein werden. Bis zu 50% der Verbraucher werden künftig auf ein eigenes Fahrzeug verzichten. (1)
Sinkende Mobilitätskosten und steigendes Mobilitätsangebot könnten gleichwohl zu einer substantiellen Zunahme des Verkehrs führen. Der Bedarf für zusätzliche Straßen oder Parkflächen (und die Rentabilität der Investitionen) ist schon heute im Lichte neuer Mobilität zu bewerten. Die Potentiale für eine Neuordnung des Verkehrs sind riesig. Prof. Dr. Nagel hat etwa simuliert, dass eine Flotte von 100.000 automatisierten Robo-Taxis die ca. 1 Million privaten Autos innerhalb Berlins ersetzen könnte. darüber hinaus Der Rückgang der Mineralölsteuer aufgrund des Anstiegs von Elektromobilität, der in der Schweiz auf 38 bis 55 % bis 2035 geschätzt wird, wird darüber hinaus neue Finanzierungsformen erfordern.
Für die lokalen Behörden eröffnen sich angesichts dieser bevorstehenden Herausforderungen neue Aufgabenfelder. Wie wird verhindert, dass neue Mobilitätsdienste zu erhöhter Verkehrsbelastung führen? Wie können neue Dienstleistungen in das öffentliche Verkehrssystem integriert werden, ohne den ÖPNV als traditionelles Rückrat der Massenmobilität zu schwächen? Wie können Kommunen die Installation der für Elektrofahrzeuge benötigte Infrastruktur fördern – und wer zahlt dafür? Wie können gute Luftqualität und die Emissionsziele in einer Welt mit ständig steigender Nachfrage nach Mobilität erreicht werden? Welche Infrastruktur ist heute für die Mobilität von morgen zu planen?
Der erwartete Umbruch trifft in Deutschland auf kulturelle Skepsis. Das Autofahren ist bei uns Ausdruck der persönlichen Freiheit. Manchmal scheint es hierzulande, als habe die Vision von Autonomer Mobilität ihren Höhepunkt seit der TV-Serie Dudu, dem Wunderkäfer aus den 1970er Jahren überlebt zu haben. Diese Diskrepanz wird besonders deutlich im 2020 Autonomous Vehicles Readiness Index (AVRI). (2) Der AVRI untersucht seit 2018 wie gut Staaten auf die Einführung autonomer Fahrzeuge vorbereitet sind. Zwar bleibt Deutschland weltweit Vorreiter bei den Patenten zum autonomen Fahren und liegt auch im Vergleich mit den 30 untersuchten Ländern im Bereich Technologie und Innovation unter den ersten fünf. Dennoch schneidet Deutschland bei der Verbraucherakzeptanz auf Platz 21 eher schlecht ab. Dabei kann das autonome Fahren nach der Ethikkommission des BMVI sogar gesellschaftlich geboten sein, um Unfälle zu vermeiden.
Ein Blick in das Ausland zeigt, dass andere Staaten bereits durch simulationsbasierte Analysen von Verkehr und den Nutzern Zukunftsszenarien entwickelt, um die Nachhaltigkeit ihrer Verkehrs- und Infrastrukturplanung zu sichern.
Das britische Verkehrsministerium hat die Auswirkungen der „mobility revolution“ für Städte analysiert und 2019 Leitlinien abgeleitet, die Eingang in die Future of Mobility: Urban Strategy gefunden haben. (3) Sie umfassen den Umgang mit Daten, die Rolle von Fahrrad‑, Fußgängerverkehr und ÖPNV, die Organisation des Marktes, die Vermeidung von Verkehrsbelastung und Emissionen, die Sicherheit und Sozialverträglichkeit der Mobilität. Highways England hat in einer Studie zum vernetzten und autonomen Fahren 2017 (4) u. a. unterschiedliche Zukunftsszenarien durchgespielt, die die Bandbreite verschiedener Faktoren hervorheben, welche Einfluss auf die Einführung sauberer und autonomer Autos haben können sowie das Potenzial für verschiedene Zielsetzungen. So ist beispielsweise zu erwarten, dass in einer Zukunft mit rascher Einführung von Technologien – aufgrund der Vorteile vernetzter und autonomer Systeme – der Straßenverkehr flüssiger wird und dadurch die Kapazitäten des Verkehrsnetzes erhöht werden. Umgekehrt würde das Festhalten am Indvidualverkehr zu mehr Fahrzeugen auf den Straßen führen, was eine Zunahme von Verkehrsüberlastungen nach sich ziehen könnte. Darüber hinaus wurden für jedes Szenario hochrangige Staukarten und ‑analysen entwickelt, um weitere Überlegungen und Planungen anstellen zu können. Die Realität wird vermutlich zwischen den Extremen der unterschiedlichen Szenarien liegen. Durch thematische Überschneidungen in verschiedenen Szenarien lassen sich, unabhängig davon, welcher Zustand künftig eintreten wird, schon heute eine Reihe von Chancen und Herausforderungen für das britische Verkehrsnetz identifizieren, die angegangen werden müssen.
In Melbourne hat Infrastructure (5) Victoria 2016 eine auf 30 Jahre ausgelegte Infrastrukturstrategie veröffentlicht. Ein zentraler Punkt dieser Strategie adressiert die Notwendigkeit, Möglichkeiten der effizienteren Nutzung des Transportnetzes zu identifizieren. Zum ersten Mal wurde in Australien dafür das Reiseverhalten mit einem Activity Based Model untersucht. Mit den Ergebnissen lässt sich eine Aussage treffen, wie die Straßen im Jahr 2030 voraussichtlich genutzt werden. Das Besondere an diesem Modell ist, dass es auf dem Verhalten von individuellen Menschen innerhalb des Verkehrsnetzwerkes basiert; im Gegensatz zu traditionellen Modellen, die sich allein auf die einzelnen Reisen fokussieren. Aufgrund der Ergebnisse dieser Analyse wurden 17 Handlungsempfehlungen (6) identifiziert, um bereits heute den Weg für autonomes, vernetztes und elektrisches Fahren zu bereiten. Dazu zählen beispielsweise die Aktualisierung der Straßeninstandhaltung, um die Bedürfnisse automatisierter Fahrzeuge zu berücksichtigen, einschließlich der Änderungen an Fahrbahnen und Beschilderung, die Inkorporation von neuen Mobilitätsoptionen wie z. B. On-Demand-Dienstleistungen und MaaS in den ÖPNV oder die Erhöhung der Verfügbarkeit von Echtzeitverkehrsdaten von ÖPNV sowie die Schaffung von Regeln für das Teilen von Daten zwischen öffentlichen und kommerziellen Verkehrsdienstleistern.
In den USA hat es sich das Ohio Department of Transportation (ODOT) zum Ziel gesetzt, eine Strategie zu entwickeln, um eine Führungsrolle bei der Einführung vernetzter und autonomer Fahrzeuge einzunehmen. Mit der eigens 2018 dafür gegründeten Initiative DriveOhio sind die ersten Projekte bereits geplant. Dazu zählen insbesondere die Ausstattung verschiedener Abschnitte von Fernstraßen mit Dedicated Short Range Communication (DSRC) Einheiten sowie den ersten Testfahrzeugen, um damit die Bedingungen für zukünftiges autonomes und vernetztes Fahren zu schaffen. (7)
Deutsche Kommunen können von diesen Beispielen lernen. Die Analyse möglicher Szenarien neuer Mobilität kann es ermöglichen, die kulturelle Offenheit für die Disruption im Verkehr zu stärken, die Chancen aber auch Risiken zu erkennen und die Stadtplanung, Regulierung und den öffentlichen Nahverkehr darauf auszurichten.
1) https://assets.kpmg/content/dam/kpmg/uk/pdf/2019/02/mobility-2030-transforming-the-mobility-landscape.pdf
2) https://home.kpmg/xx/en/home/insights/2020/06/autonomous-vehicles-readiness-index.html
3) https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/846593/future-of-mobility-strategy.pdf
4) Highways England: Connecting the Country – Planning for the long term, S. 26 f. (https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/666876/Connecting_the_country_Planning_for_the_long_term.pdf)
5) KPMG/ Infrastructure Victoria: Model Calibration and Validation Report (https://www.infrastructurevictoria.com.au/wp-content/uploads/2019/04/KPMG-MABM-Validation-Report-December-2017.pdf)
6) Infrastructure Victoria: Advice on Automated and Zero Emissions Vehicles Infrastructure (https://www.infrastructurevictoria.com.au/wp-content/uploads/2019/04/Advice-on-automated-and-zero-emissions-vehicles-October-2018.pdf)
7) https://www.cleveland.com/metro/2017/10/ohio_turnpike_commission_approves_communications_system_for_connected_and_autonomous_vehicles.html