
Zwei Modellprojekte in Hamburg sollen die Verkehrssituation entlasten und unnötige Transporte vermeiden. Die Logistik-Initiative Hamburg hat die Vorhaben angestoßen.
Der Verkehr steht. Es ist Mittwochmorgen 10.30 Uhr in Hamburg, und auf der B5 quält sich der Verkehr im Schneckentempo stadteinwärts. Die Hauptverkehrsachse trägt jeden Tag eine Hauptlast an Personen- und Güterverkehr. Zähfließender Verkehr und Staus gehören fast täglich zum Stadtbild. Baustellen verschärfen die Lage oft zusätzlich.
Kaum mehr als einen Steinwurf entfernt fließt die Bille und verläuft der Billbrookkanal. Auf dem Wasserweg ist nichts los. Allenfalls ein paar Paddler fahren hin und wieder mal in dem Gebiet. Auf dem Kanal gilt: freie Fahrt. Warum ihn also nicht mit einem speziellen Binnenschiff für den Gütertransport nutzen?
Das fragte sich auch Hans Stapelfeldt. Er ist bei der Logistik-Initiative Hamburg Netzwerkmanager für den ITS-Weltkongress, der im Oktober 2021 in der Hansestadt stattfindet. Dabei wird es um neueste Entwicklungen bei intelligenten Verkehrs- und Transportsystemen (ITS) gehen. Stapelfeldt hat das Projekt „Water Cargo Barge“ (WaCaBa) ins Leben gerufen. Zusammen mit Unternehmen, die in den Stadtteilen Hammerbrook und Billbrook ansässig sind, hat er sich Gedanken gemacht, ob und wie man den Wasserweg nutzen könnte. „Sowohl im B2C- als auch B2B-Segment haben die Unternehmen dort Schwierigkeiten, Waren anzunehmen und abzuschicken“, sagt Stapelfeldt. „Alle betroffenen Firmen sind der Meinung, dass es eine deutliche Verbesserung bei der Versorgung wäre, wenn sie den Wasserweg nutzen könnten.“ Also wurde Stapelfeldt gebeten, daraus ein Konzept zu entwickeln.
Die Stadt Hamburg fand das ebenfalls eine „tolle Idee“, wie der Netzwerkmanager erzählt. Zumal der ITS-Weltkongress verschiedene intermodale Bereiche abdecke, die Hansestadt aber bei der Nutzung von Binnenwasserstraßen noch relativ blank dastehe. „Viele Besucher wollen sicherlich sehen, wie die Stadt Logistik wasserseitig abbildet.“ Stapelfeldt hat zwei Quartiere identifiziert, in denen die Straßen stark belastet sind, und die Unternehmen entsprechend einen hohen Druck bei den Lieferverkehren haben. Das sei Voraussetzung, betont Stapelfeldt, um aus der Idee, die Wasserstraße zu nutzen, ein Geschäftsmodell zu machen.
Pendelverkehr
geplant
Um die Machbarkeit des Vorhabens zu prüfen, müssen zunächst Informationen und Daten gesammelt werden über die Erreichbarkeit von potenziellen Anlegestellen, Wassertiefen und Tidenabhängigkeit. Darüber hinaus soll ein Testlauf weiteren Aufschluss geben. Als Transportmittel soll eine Cargo-Barge im Pendelverkehr dienen. Das Schiff soll über ein modulares Boxsystem verfügen. Mehrere Unternehmen könnten es rund um die Uhr für den Gütertransport zwischen den beiden Stadtteilen nutzen. An der Quelle werden die Güter in Micro-Hubs auf die Cargo-Barge verladen und am Zielort an Wasser-Hubs wieder entladen. Von dort werden sie bestenfalls mit emissionsfreien Fahrzeugen wie Lastenfahrräder oder Elektrofahrzeuge in den Vierteln verteilt. „Dabei geht es nicht nur um Kep-Sendungen“, betont Stapelfeldt, „sondern auch um die Ver- und Entsorgung beispielsweise des Handels.“ Wichtig für die Akzeptanz des Projekts dürfte sein, dass die Cargo Barge nicht in Wohnvierteln verkehrt. Von den Anlegestellen kann aber durchaus in solche geliefert werden.
Die Cargo-Barge soll zunächst angemietet werden, so die Idee. Denn um extra eine zu bauen, wie das in den Niederlanden und Belgien der Fall ist, fehlt das Geld. Zunächst müssen erstmal die Voraussetzungen geprüft werden, zum Beispiel, wo die Verlade- und Anlegestellen sind. Sobald das geklärt sei, würden sich auch Kep-Unternehmen für das Projekt interessieren, ist Stapelfeldt überzeugt.
Nicht notwendige
Transporte
Ob Spediteure, Logistikdienstleister, Kep-Dienste, Handwerksfirmen oder Industrie und Handel – annährend jedes Unternehmen hat seine Abläufe optimiert. Dabei setzen zwar viele Betriebe auf digitale Unterstützung. Doch noch längst nicht findet ein branchenübergreifender Austausch über System- und Unternehmensgrenzen hinweg statt. Eine Folge: Es finden Transporte statt, die gar nicht unbedingt notwendig wären.
Ein fiktives Beispiel: Ein Unternehmen muss Waren für einen Sammelgutcontainer Richtung Hafen bringen. Der Disponent geht von einem baldigen Ladeschluss aus. Er ordert einen LKW, der die Waren abholt. Was er vielleicht nicht weiß ist, dass sich der Ladeschluss verschoben hat, weil das Schiff verspätet ist, oder dass in der Stadt gerade eine Großveranstaltung den Verkehr behindert oder auf der Autobahn ein Stau ist. Um diese Informationslücken zu schließen, hat die Logistikinitiative Hamburg ein weiteres Projekt ins Leben gerufen: „Vernetzung von Transportsystemen“ (Vevotras).
Beteiligte an dem Projekt sind zurzeit die Spedition Bursped, der Softwareanbieter Initions und der Schraubenhändler F. Reyher. Sobald das Projekt gestartet ist, „sollen noch viele weitere dazukommen“, sagt Stapelfeldt, der auch für dieses Projekt verantwortlich ist. „Mit Vevotras wollen wir Informationen auf eine Transparenzebene bringen, damit Entscheidungen nach Priorität getroffen werden.“ Eine Palette müsse nicht zwingend heute gefahren werden, wenn das Schiff, für das sie bestimmt sei, erst morgen Ladeschluss habe. „Besser ist, sich auf die Transporte zu konzentrieren, die tatsächlich im Moment wichtig sind, weil sie produktionsrelevant sind“, sagt Stapelfeldt.
Digitale
Logistikplattform
Bei der Stadt Hamburg wurde ein Förderantrag für das Projekt gestellt. Es soll eine Plattform entstehen, auf die auch Daten der Stadt einfließen, eine so genannte „Urban Data Platform“. Jeder Teilnehmer soll da seine Informationen anonymisiert reingeben und das abrufen können, was für ihn relevant ist. Hersteller geben Änderungen von Produktionszeiten an, der Hafen aktuelle Zeiten für Ladeschlüsse. Die Stadt Hamburg wird Betreiberin dieser digitalen Logistikplattform sein. Die Firma Initions stellt die Anbindung zu den Unternehmen her.
Momentan werden weitere Unternehmen gesucht, die sich an dem Projekt beteiligen und Informationen zur Verfügung stellen. So könnte der Softwareanbieter Dakosy, der das Port Community System für den Hamburger Hafen betreibt, Daten über Schiffsankünfte und Abfahrten einspielen. Das Ziel von Vevotras sind dynamische Dispositionsentscheidungen und weniger unnötige Touren oder Leerfahrten. „Es ist nicht die Absicht, den intermodalen Mix zu verändern“, betont Stapelfeldt, „sondern die Transparenz maximal zu erhöhen und Transporte zu konsolidieren.“ Darin liege ein großes ungenutztes Potenzial. Er schätzt, dass 10 bis 20 Prozent der Transporte unnötig sind.
Vevotras soll durch eine effizientere Transportplanung und die Vermeidung unnötiger Touren den Straßenverkehr entlasten. Das käme auch der Umwelt zugute, denn der Schadstoffausstoß würde sich verringern. Darüber hinaus ließen sich in den teilnehmenden Unternehmen die internen Abläufe verbessern, was sich bei diesen durch Kostensenkung bemerkbar machen dürfte. Voraussetzung dafür ist eine gute und aktuelle Informationsverteilung – genau da setzt Vevotras an.